Danke für Widerstand

“Vor 75 Jahren, am 9. April 1945, genau einen Monat vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wurden die letzten Widerstandskämpfer gegen Adolf Hitler und den Nationalsozialismus umgebracht.”

Im Gedenken an:
Dietrich Bonhoeffer, Hans Oster, Wilhelm Canaris, Ludwig Gehre, Karl Sack, Ewald von Kleist, Georg Elser

Dazu ein Text aus der SZ, Samstag, 4. April 2020, Artikel 8/10

Von Eis bedeckt

Vor 75 Jahren wurden Dietrich Bonhoeffer und seine Mitstreiter von den Nazis ermordet.

Der Mut des Gedenkens: Erinnerung statt Klopapierwitze. Von HERIBERT PRANTL, Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung

Noch eine Woche bis Ostern. Es ist ein ganz anderes Ostern als sonst. Zwar läuten auch diesmal die Kirchenglocken, sie läuten aber nicht zum Kirchgang, nicht zum österlichen Jubel, sondern nur zur Erinnerung daran, dass Ostern ist. Die Bänke in den Kirchen bleiben leer. Es gibt keine Ostergottesdienste; kein Orgelgebraus, kein Halleluja. Und zu Hause fällt das große Osterfrühstück aus. Es gibt amtliche Kontaktsperren, die Familien kommen daher nicht zusammen, Oma und Opa bleiben, coronabedingt, bei sich zu Hause. Ein Osterspaziergang findet, wenn überhaupt, nur mit Mundschutz statt. Und in Goethes berühmtem Gedicht über diesen Spaziergang stimmt heuer schon der Anfang nicht: Das Leben ist nicht vom Eis befreit, sondern wie mit Eis überzogen.

Corona hat die Schulen, die Kirchen, die Theater, die Kinos, Gaststätten, Geschäfte, die Kaufhäuser und Sportstudios, die Kultur- und die Einkaufs-zentren leer geräumt, auch die Volkshochschulen und die Veranstaltungskalender. Corona beherrscht die weltweite Aufmerksamkeit. Corona hat alle anderen Probleme und fast alle anderen Themen verdrängt. Corona führt zu einem ver-rückten Blick auf die Welt. Corona neutralisiert das Interesse an allem, was nichts mit dem Virus zu tun hat. Corona hat die Nachrichten und die Köpfe besetzt. Um diesem Virus möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, wurde und wird das öffentliche Leben radikal reduziert, das private auch. Dem Virus sind auch die Veranstaltungen zum Opfer gefallen, die zum Gedenken an den Widerstand gegen Hitler geplant waren.

Vor 75 Jahren, am 9. April 1945, genau einen Monat vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wurden die letzten Widerstandskämpfer gegen Adolf Hitler und den Nationalsozialismus umgebracht – unter ihnen war der Theologe Dietrich Bonhoeffer.

Es gehört im Jahr 2020 zum Kampf, zum Widerstand gegen Corona, von diesem Virus das Gedenken an die Widerständler gegen Hitler nicht anstecken und ersticken zu lassen.

Es schadet daher nichts, wenn es ein paar Klopapierwitze weniger, aber dafür ein paar Gedanken mehr an Bonhoeffer und seine Mitverschwörer und Widerständler gibt.

Bonhoeffer war evangelischer Theologe, ein Pfarrer; es war für ihn eine große Gewissensfrage, ob man als Christ an einem Attentat mitwirken darf. Das Gebot lautet bekanntlich: Du sollst nicht töten.

Bonhoeffer hat das verantwortet; Glauben war für ihn etwas Diesseitiges, mit einem Jenseits-Gott konnte er nichts anfangen. Kirche war für ihn nur Kirche, wenn sie für andere da ist; und Glauben hieß für ihn, nicht mehr die eigenen Leiden wahrzunehmen, sondern die der anderen; für ihn waren sie die Leiden Gottes in der Welt. “Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen”, sagte er.

Bonhoeffer wollte kein Widerstandskämpfer werden. Aber die Verfolgung der Juden stellte, so sah er das, die Kirche vor die Gottesfrage, in der sich entschied, ob sie überhaupt noch Kirche war. “Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen, sei es einen Heiligen oder einen Gerechten, dann wird man ein Mensch, ein Christ”, schrieb er am Tag nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 in einem Brief aus der Haft.

Der Theologe Bonhoeffer war von guten Mächten gar nicht wunderbar geborgen; er hat trotzdem davon geschrieben, auch das war eine Form des Widerstands. Und er ging gefasst in den Tod. Am 8. April 1945 wurde er im Konzentrationslager Flossenbürg zum Tod verurteilt – zusammen mit General Hans Oster, Admiral Wilhelm Canaris, dem Offizier Ludwig Gehre und dem Heeresrichter Karl Sack; alle wegen ihrer Beteiligung am gescheiterten Umsturzversuch vom 20. Juli 1944.

Am 9. April 1945 wurden sie gehängt. Vorher hatten sie sich völlig entkleiden und nackt zum Galgen gehen müssen. Sechs Stunden dauerte die Hinrichtung, weil die bis zur Ohnmacht Strangulierten wiederbelebt wurden, um ihren Todeskampf zu verlängern.

Der Widerstand gegen Hitler steht Pate für Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar

Am selben Tag, am 9. April 1945, wurde der Widerstandskämpfer Ewald von Kleist in Berlin-Plötzensee guillotiniert. Der Kunstschreiner Georg Elser, der einsame Mann, der im November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller das nur knapp gescheiterte Bombenattentat auf Hitler und fast die gesamte NS-Führungsschicht ausgeführt hatte, wurde gleichfalls am 9. April 1945 exekutiert, im Konzentrationslager Dachau.

Der Widerstand gegen den Jahrtausendverbrecher Hitler: Es waren Menschen aus allen politischen Gruppen, die diesen Widerstand geleistet haben, es waren Menschen aus allen Schichten des Volkes – Offiziere, Arbeiter, Adlige, Geistliche.

Neben den oft aristokratischen Namen vom 20. Juli stehen die Namen der kommunistischen und sozialistischen Widerständler, von denen so viele in den Konzentrationslagern umkamen; die Namen der Roten Kapelle zum Beispiel, dazu die Namen der Weißen Rose und des Nationalkomitees Freies Deutschland, dazu die Namen der christlichen Widerständler, des Kardinals von Galen etwa, des Jesuiten Alfred Delp und eben der Name Bonhoeffer.

Gemeinsam war ihnen die Ablehnung von Totalitarismus, Rassenwahn und Menschenverachtung. Ihnen allen, allen Widerständlern gegen Hitler, ist das Grundgesetz zu widmen. Ihnen sind all die nicht selbstverständlichen Selbstverständlichkeiten und Rechte im Grundgesetz zu widmen, die wir im Moment so vermissen. Es wäre der Sinn und das Verdienst einer großen Widmung im Grundgesetz, sie alle, die Widerständler gegen Hitler, in einem Atemzug zu nennen: als Märtyrer für ein besseres Deutschland. Es wäre dies die Ökumene des Widerstands.

Der Widerstand gegen Hitler steht Pate für die Artikel 1 und 20 Absatz 4 des Grundgesetzes: “Die Würde des Menschen ist unantastbar.” Und: “Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.” In diesem Satz steckt die Aufforderung, es nicht so weit kommen zu lassen, dass es den großen Widerstand braucht. Dieser Satz ist die Aufforderung zum kleinen Widerstand. Zum kleinen Widerstand gehört es auch, den Tod der großen Widerständler und ihr Gedenken auch in den Corona-Toten-Zeiten nicht zu vergessen.“