Oma Sarah`s Gedanken zur Doku: Berlin 1945
Berlin 1945 Tagebuch einer Großstadt
Freitag 08.05.2020 um 20:15 Uhr | rbb Fernsehen
Gestern Abend habe ich mir die beiden Teile des Dokumentarfilmes angesehen. Die ästhetische Verzweigung der historischen Aufnahmen unterschiedlichster Filmarchive mit den Tagebüchern der Überlebenden Berliner*innen ist sehr spannend gelungen. Dabei schien es mir unglaublich, dass diese authentisch sind, über einen so langen Zeitraum geschrieben wurden. Gerade die Kombination unterschiedlicher Filmmaterialien hat mich sehr überzeugt und über den ganzen Film mitgenommen.
Anschließend hatte ich überlegt, wie man einen „Feiertag“ am 8. Mai wohl „feiern“ könne. Begehen ja, wiederum gedenken aller Opfer und Leidgeplagten.
Inmitten meiner Berührtheit, die ich an vielen Stellen des Filmes empfand, fragte ich mich, wie ich mich wohl in diese oder jener aussichtslosen Situationen verhalten hätte.
Immer wieder werden Frauen gezeigt, wird ihr Leben bzw. Überleben thematisiert, während die jungen Männer – und auch die allerjüngsten Söhne – in Uniformen zu körperlichem Extremverhalten bereit oder genötigt, zu unbedingter Disziplin eingeschworen waren. Zum Schluss wusste ich, wozu wir diesen Tag begehen müssen. Die Filmaufnahmen zu den Anklagen höchster Verantwortlicher des NS-Regimes in den Nürnberger Prozessen, ihr hochmütiges, verächtliches, gar belustigtes Verhalten auf der Anklagebank, haben mich ebenso erschüttert, wie die Tagebuchaufzeichnungen der jüdischen Mutter, die über Jahre in Berlin ganz allein versteckt lebte und sich Nichts sehnlicher wünschte, als dass ihre beiden Kinder überlebten, zu denen sie jede Verbindung verloren hatte. Dass der Film am Ende erst verrät, dass weder die Kinder überlebten, noch die meisten Führungskräfte des NS-Staates, lässt eine starke Betroffenheit, gemischte Gefühle zurück. Es gibt keine Gerechtigkeit im Nachhinein.
Bitter ist es, wenn man die Offiziere im Prozess ihre Schuld leugnen sieht. Bitter ist es zu sehen, dass Rache nur neues Leid erzeugt. Ein bitterer Geschmack bleibt auch zurück, wenn man sieht, wie Aufarbeitung nach dem Krieg vernachlässigt wurde.
Nie wieder dürfen sich Einzelne erdreisten, eine menschenfeindliche Ideologie zur Staatsräson zu machen, demokratische Gemeinschaften zu verunsichern, zu spalten, zu zerschlagen.
Passen wir auf uns auf. In so manchem Nachbarland Europas sind Demokratien schon nicht mehr gefestigt.
Passen wir auf unsere demokratische Mitte auf, Wahlen werden von langer Hand vorbereitet. Lassen wir uns nicht verunsichern, vereinnahmen, instrumentalisieren.
Bleiben wir aufrichtig und haben wir keine Angst, den Kräften entgegen zu treten, die unsere demokratischen Werte hochmütig, verächtlich, belustigt oder auf subtile Weise aushebeln wollen.
Drei Meter lang ist die Reihe der Stolpersteine vor meiner Haustür. Dort werde ich sein am 8. Mai und auf einem Spaziergang in meiner Straße und Umgebung alle Namen lesen, ihr Schicksal verinnerlichen und die Menschen, die nicht mehr sind, mit einer Blume ehren. Es werden viele Blumen in meinem Kiez zu sehen sein.